Tagebuch von Oma für Nele-Anna Leseprobe

Lieber Leser, liebe Leserin,

die nun folgende Geschichte, ist eine Geschichte, die auf tatsächlich stattgefunden Ereignissen beruht. Allerdings mussten die Orte und Namen und auch das Alter der Personen sowie einige andere Dinge in diesem Buch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes so abgewandelt werden, dass sie nicht mehr zu erkennen sind. Nicht für sich selbst und besonders nicht für andere Personen. Insofern könnte man sagen, handelt es sich um eine fiktive Geschichte.

Doch wer will schon entscheiden, was Geschriebenes heute überhaupt wahr und was frei erfunden ist? Darum haben wir uns entschieden, diesem Buch, dieser Geschichte keinen Stempel aufzudrücken, der von Autobiografie oder Roman spricht, von Realität oder Fiktion. Es macht letztlich auch keinen Unterschied, denn Sie, lieber Leser und liebe Leserin werden entscheiden, was diese Geschichte für Sie ist.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Für Nele, geboren 27.01.2012

Juni 2011

An einem Sonntagabend im Sommer steckte in meinem Briefkasten ein hellgrünes Brettchen. Darauf stand in großen Druckbuchstaben auf der Vorderseite: Ein Brettchen für Oma. Auf der Rückseite handschriftlich: Rate, was du im Januar wirst … wir konnten das auf dem Ultraschall nicht genau erkennen … aber in echt wird sie bestimmt viiiel schöner!! Daneben zeigte ein Pfeil auf ein niedlich gemaltes Mädchen mit zwei Zöpfen.

Dein Vater malte schon immer gut (genau wie ich) und zeichnete mit bunten Filzstiften ein Mädchen, das dich darstellen sollte. Unterschrieben war das Brettchen mit den Namen deiner Eltern.

Ausgerechnet an diesem Wochenende machten wir einen Tagesausflug und verpassten leider den unangekündigten Besuch deiner Eltern mit ihrer sehr erfreulichen Botschaft. Du kannst dir gar nicht ausmalen, wie irrsinnig ich mich über diese schöne Nachricht freute!

Mitte Oktober heirateten deine Eltern – deine Mutter mit schönem dicken Bauch.

Deine Tante Judith fehlte leider zu dieser Zeit und flog erst zu Weihnachten aus Amerika nach Deutschland.

Als Judith euch im Dezember besuchte, durfte sie deine Bewegungen in dem Bauch deiner Mutter fühlen. Dann erlaubte es deine Mutter mir auch, ihren Bauch zu fühlen, und so bekam ich ein wenig direkter Kontakt zu dir. Es war ein total schönes Erlebnis.

Etwa einen Monat davor sprach dein Vater mich an, wegen einem Puppenhaus für dich. Er wollte selber eines machen, es sollte etwa fünfzig Zentimeter hoch und sechzig Zentimeter breit werden. Er fragte, ob ich es bemalen könnte, was mich begeisterte!

Früher, als meine drei Kinder noch klein waren und in den Kindergarten gingen, gaben einige Eltern eine Kindergartenzeitschrift heraus, die ich illustrierte. Die Kindergartenzeitungen habe ich bis heute aufbewahrt und ich entdeckte darin tatsächlich einige Ideen, die ich verwenden konnte. Als ich anfing das Puppenhaus zu bemalen, kamen neue Ideen dazu. Auf die drei Außenseiten malte ich eine Giraffe, die ein Gesicht und zwei Arme ähnlich wie ein Mensch hat. Außer den zwei Arme, hat die Giraffe noch vier Beine und an jedem Fuß trägt sie einen anderen Schuh. Auf dem Puppenhaus spaziert die Giraffe durch eine Landschaft wo einige andere Figuren, Zwerge und Tiere, aus dieser Kindergartenzeitung abgebildet sind. Ich habe diese kleinen Elemente – sie sind zudem Erinnerungen an der Kindergartenzeit deines Vaters – einfach übernommen. Die Giraffe ist allerdings nicht aus der damaligen Zeit, die habe ich extra für dich entworfen.

Auf dem Puppenhaus habe ich Linda und deinen Vater, damals als kleine Kinder, abgebildet – ebenfalls übernommen von meinen Bildern aus dieser Kindergartenzeitung. Judith war zu der damaligen Zeit noch nicht geboren. Auf die Außenseiten des Puppenhauses malte ich außerdem einige Tiere und andere Gegenstände, zum Beispiel ein Motorrad, worauf ein Zebra und eine Schildkröte fahren. Alles mit bunten Farben gemalt. Ein paar Farben, wie Orange und Braun verwendete ich deiner Mutter zuliebe kaum, weil sie die nicht mag. Das tat ich dann wirklich nur im Notfall, zum Beispiel bei einem Baumstamm. Den konnte man schließlich nicht unbedingt hellblau malen. Das Puppenhaus wurde kurz vor deiner Geburt fertig und richtig schön.

Als die Schwangerschaft deiner Mutter immer sichtbarer wurde, verspürte ich das Bedürfnis, für dich etwas Nettes zu stricken. Vermutlich ist dies so, wenn man Oma wird. Seit langer Zeit noch einmal stricken, das fühlte sich einfach toll an! Und zwar bekam ich die Idee ein reiszakje (es ist ein niederländisches Wort und heißt soviel wie eine Art Beutel, Säckchen zum ´verreisen´) für dich zu stricken. Dies sah tatsächlich aus wie eine Art Beutel oder Säckchen. Es hatte keine Beine, aber Arme und einer Kapuze zum Warmhalten. Vorne war es mit einem Reißverschluss oder Knöpfen zu verschließen, einfach nur ein bequemes, warmes und niedliches Kleidungsstück. Ursprünglich wollte ich einen ganz farbenfrohen Beutel stricken, mit bunten Streifen. Da deine Mutter eher helle Farben als bunte mag, habe ich es in hellbeige gestrickt. Das reiszakje für dich sah fast genauso aus, wie jenes das dein Vater als Baby hatte. Nur hing an deinem ein Bommel an der Kapuze und der Verschluss vorne war geschmückt mit bunten Herzknöpfchen. Meine Mutter strickte das reiszakje für deinen Vater, da er das erste Enkelkind meiner Eltern war. Es diente mir als Vorlage. Ich zog es deinem Vater häufig an, es fühlte sich so schön kuschelig an.

Leider habe ich dich in meinem gestrickten reiszakje nicht ein einziges Mal gesehen. Dabei war es aus so schöner weicher Wolle und mit aller Liebe gestrickt.

Januar 2012

Am 27.01.2012 rief mich dein Vater morgens früh um etwa sieben Uhr an. Er erzählte mir ganz glücklich, überwältigt und aufgeregt („Du bist die Erste, die ich anrufe“, sagte er), dass du geboren wurdest und den wunderschönen Namen Nele-Anna bekamst.

Kurz davor hatten deine Eltern per E-Mail Fotos von einem Storch aus Pappe verschickt. Überall auf dem Storch klebten Zettelchen mit Mädchennamen. Aber die beiden wollten ja eigentlich gar nichts verraten, obwohl sie so taten, als ob dein Name auf einem der Zettelchen stünde. Im Nachhinein wurde dann klar, dass dein zauberhafter Doppelnamen gar nicht bei den Namen auf den Zettelchen war.

Aufgeregt berichtete dein Vater wie die Geburt verlaufen war. Deine Mutter hatte einen Kaiserschnitt, es ging ihr nach deiner Geburt einigermaßen gut. Natürlich erzählte er bis ins kleinste Detail, wie süß und hübsch du aussahst.

28.01.2012

Heute, ein Tag nach deiner Geburt, sehe ich dich zum ersten Mal: so ein hübsches kleines Mädchen! Ein ganz glattes Gesicht hast du, mit einem lieben schönen Mund. Was für ein kleines, niedliches schlafendes neues Menschenkind, und dazu auch noch meine Enkelin!

Ein in sich selbst ruhender, glücklicher Mensch wird sie“, sagte ich zu mir selbst. Für mich sonnenklar, mein erster Eindruck.

Deine Ärmchen und Beinchen bewegten sich viel und andauernd, fiel mir auf. Dein Vater hielt dich in seinen Armen und drückte dich ganz fest an sich, manchmal ein bisschen ungeschickt und noch ungewohnt. Deine Mutter ängstigte sich und sagte ihm, er solle vorsichtiger sein. Auch ich war ein wenig besorgt, da du ihm manchmal ein Stückchen aus seinen Händen glittst. Du bist so klein und zart, überdies hat dein Vater solch große Hände. Ich erlebte ihn, noch völlig ungeübt im richtigen Festhalten neugeborener Babys. Ist ja auch so unheimlich spannend, nach der langen Zeit des Wartens, ein gerade Geborenes endlich in den Armen halten zu dürfen. Und noch dazu die eigene Tochter!

Ich wünschte es mir, traute mich nicht es zu sagen, wollte nicht aufdringlich erscheinen, wie sehnlichst wünschte ich mir, dich zu halten, zu streicheln und dir ein kleines Küsschen zu geben. Dein Vater dachte gar nicht daran, dich kurz mir zu geben, denn er war dermaßen fasziniert von dir und ließ dich nicht aus den Augen.

Schade, dachte ich, vielleicht darf ich dich das nächste Mal halten.

Meine Augen konnte ich natürlich gar nicht von dir abwenden, und genauso nicht von deinen Eltern, die sich gleich in ihrer Elternrolle zuhause fühlten. Die sich so glücklich, aber auch sehr müde fühlten. Denn du wolltest nämlich gar nicht in diesem Krankenhausbabybettchen liegen, sondern lieber in den Armen deiner Eltern. Das verstand ich gut, denn so ein Bettchen erschien so kalt und nüchtern, sah also nicht gerade anziehend aus. Also lagst du entweder neben deiner Mama im Bett oder in den Armen deines Papas.

Die erste Nacht trug dein Vater dich auf dem Flur des Krankenhauses herum, damit deine Mama zumindest ein wenig schlief, nach der anstrengenden Geburt, denn sie war ziemlich müde. Dein Papa erzählte mir, die Nacht dauerte so lange und es sah so aus, als bewegten die Zeiger der Uhr an der Wand im Flur sich überhaupt nicht. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen; so eine Nacht nach so viel Aufregung, dazu wenig Ruhephasen, dann auf- und ablaufen in einem kleinen, menschenleeren, nüchternen Krankenhausflur. Währenddessen geht die Zeit nicht voran und du kannst dich nicht hinlegen, da es kein Bett für den Ehemann gibt. Gleichzeitig wird dein Kind unruhig und weint. Alles ist so völlig neu und ungewohnt.

Mein erstes Enkelchen; ich hätte dich sofort mitnehmen wollen! Ein fantastisches Gefühl! Dein Name: Nele Anna! Ich dachte, wir hätten uns als Eltern früher bereits die schönsten Namen für unsere Kinder ausgesucht. Dagegen ist der Name, den du erhieltest, nicht weniger schön, vor allem mit dem zweiten Zusatz Anna! Nele wie ein kleines Mädchen und Anna wie eine erwachsene Frau, also genau richtig. Später kannst du immer mal gucken, ob du dich für einen einzelnen Namen entscheidest. Ich kenne eine Frau, die mehreren Namen bei der Geburt bekam und sich, als Jugendliche, für einen anderen entschied, als ihre Eltern jahrelang für sie als Rufnamen verwendeten. Warum nicht …

Ich freute mich sogar so stark, dass ich in den darauf folgenden Tagen bei einem feierlichen Auftritt in der Schule, wo ich unterrichte, etwas tat, was ich noch nie tat. Seit zwei Jahrzehnten arbeite ich als Förderschullehrerin an einer besonderen Schule und liebe diese Arbeit. Viele Aktivitäten pflegt man dort stets liebevoll, vor allem beteiligen sich die Schülerinnen und Schüler an allem. Im ganzen Schuljahr gibt es mehrere Anlässe, um eine kleine oder auch große Feier zu veranstalten. Die Kolleginnen und Kollegen veranstalten diese Feiern immer gemeinsam mit ihren jüngeren oder älteren Schülerinnen und Schülern. Der Höhepunkt des jeweiligen Festes bilden die Auftritte in der Sporthalle oder meistens in der Aula.

So gab es an dem besagten Tag, kurz nach der fantastischen Nachricht, dass ich Oma geworden war, zufällig einen Grund zum Feiern. Und zwar wurde, wie jedes Jahr, die Namensgebung unserer Schule gefeiert. Alle Klassen bereiteten üblicherweise etwas Originelles zum Thema dieser Feier vor. Eine ganze Woche lang befassten die Klassen sich mit der Person, dessen Name die Schule trägt. Denn diese Frau vollbrachte mal vor langer Zeit allerhand Gutes für andere Menschen. Daher erhielt unsere Schule ihren Namen.

Der Abschluss dieser Woche bildete am Freitag eine abschließenden Feier in unserer großen Aula. Einige Klassen hatten eine Tanzaufführung vorbereitet oder spielten ein kleines Theaterstück. Wieder andere musizierten, sangen und trugen auf die Art etwas zum Fest bei. Andere Schülerinnen und Schüler lasen einen interessanten Text zum Thema vor. Zu den Feierlichkeiten kamen in der Regel alle Schülerinnen und Schüler und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der gesamten Schule. Außerdem waren, je nach Feierlichkeit, die Eltern oder interessierte Menschen aus der Stadt, in der ich lebe und arbeite, eingeladen. Ich ging ebenfalls meistens hin, zum Gucken natürlich und zum Beifall klatschen, denn das verdienten die Beiträgen. Diese kamen insgesamt immer ganz toll herüber! Zuspruch sowie Anerkennung brauchten diese Kinder auf jeden Fall! Es fesselte mich jedes Mal, welche körperlichen und geistigen Möglichkeiten diese Kinder und Jugendlichen haben. Ganz abgesehen von ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Mut, vor so viel Publikum aufzutreten.

Jedoch noch mal zurück zu dem, was ich dir eigentlich erzählen wollte: Auftritten mit meinen Schülerinnen und Schülern auf der Bühne bin ich immer, soweit es möglich erschien, aus dem Weg gegangen, da ich nicht gerne im Mittelpunkt stehe. Ich mag es nicht, wenn viele Menschen mich angucken oder anhören. Wenn es nun gar nicht anders ging, beteiligte ich mich natürlich. Ich kann meine Scheu überwinden, so ist das nicht. Glücklicherweise gab es immer genug andere Kolleginnen und Kollegen in meinem Team, denen es Spaß machte, mit den Kids etwas einzuüben, sei es ein Lied oder kleine Theaterstücke, um diese vorzuführen. Sie konnten das bedeutend besser als ich. Ich besaß andere Möglichkeiten mit Schülerinnen und Schülern eine kreative Idee auf die Beine zu stellen, dabei Spaß und Genugtuung zu erleben. Aber dazu später … Nun, bei dieser besagten Feier kam ich leider nicht herum, doch mit auf die Bühne zu müssen. Meine Teamkollegin hatte mit den Schülerinnen und Schülern der Klasse ein Lied eingeübt, dazu sollten jedes Kind und die Lehrerinnen in einem kurzen Satz sagen, worüber sie sich mächtig freuen, momentan, oder was sie ganz klasse finden. Du kannst dir sicher denken, was ich sagen wollte, oder? Obwohl es sonst gar nicht meine Art ist, mich vor einer riesigen versammelten Gruppe mitzuteilen – und schon gar nichts Persönliches – so zeigte sich meine Freude über deine Anwesenheit in meiner Familie übergroß und ich vergaß meine Verlegenheit. Als ich an die Reihe kam, zwischen den einzelnen Strophen des Liedes, erzählte ich, wie außergewöhnlich entzückt ich über die Geburt meiner ersten Enkelin sei. Ein freudiges Raunen ging durch die Aula (denn zahllose Kolleginnen und Kollegen freuten sich mit mir). Zugleich überwältigte meine Äußerung meine Schulleiterin derartig, dass sie auf die Bühne kam und mich umarmte.

Am 30.01.2012 schrieb ich folgende E-Mail an deinen Vater:

Hallo Mark,

einfach zwischendurch eine Nachricht. Was für ein schönes Mädchen ist Nele! Fast wäre ich gestern wieder zu euch gekommen! So ein kleines Baby kann eine Oma richtig abhängig machen! Welch ein Reichtum und was für ein Glück, dass eure Tochter gesund ist. Denn seit ich an dieser besonderen Schule arbeite, ist mir klar wie leicht vor oder während einer Geburt etwas schief gehen kann.

Wie geht´s deiner Frau? Konnte sie etwas schlafen? Sie sollte sich ganz gut ausruhen, da ein Kaiserschnitt doch kein kleiner Eingriff ist. Sie sah so müde aus, als ich euch im Krankenhaus besuchte.

Ich möchte dich um einige Fotos bitten. Meine Kamera brachte ich bei meinem Besuch nicht mit, weil ich Nele nicht erschrecken und die ganze Zeit nur Fotos machen wollte. Nichtsdestoweniger fragt jeder um mich herum jetzt nach Fotos. Vor allem meine Kolleginnen und die Kinder aus der Klasse, die mich nun Großmutter nennen, weil sie es ein lustiges Wort finden.

Heute erinnerte eine Feier in der Aula mit Vorträge verschiedener Klassen an die Namensgebung unserer Schule. Gestern war mein freier Tag, und als ich heute Morgen in die Klasse kam, erzählte meine Teamkollegin mir, sie plane mich bei einer kleinen Vorführung meiner Schülerinnen und Schüler ein. Jedes Kind aus unserer Klasse und jede der Lehrerinnen sollten einen Grund benennen, auf der Welt zu sein. Ich sollte sagen: ´Ich bin als Oma auf der Welt, um mein Enkelchen zu verwöhnen.´ Dann habe ich auf der Bühne allen in der Aula erzählt, ich bin in dieser Woche Oma geworden. Anschließend ging ein freudiges überraschtes ´oooohhhh´ durch die Aula, meine Chefin kam auf die Bühne und umarmte mich. Seitdem fragen mich einige Kolleginnen und Kollegen nach Fotos von meiner Enkelin.

Nun wird wohl Muttermilch da sein, oder? Und dann wird Nele genügend trinken, es genießen, so nah bei ihrer Mutter zu sein und danach vielleicht einige Stündchen schlafen.

Ganz viele liebe Grüße für deine Frau und Tochter,

ebenfalls an dich, Mama

Am 02.02.2011 kam eine Nachricht zurück, deine Mutter und du seien nach Hause gekommen, ferner würdest du tagsüber viel schlafen, jedoch nachts noch häufig wach sein. Beide Eltern seien unwahrscheinlich müde, bemerkten es kaum, da sie dich immerzu angucken müssten und sich nicht an dir sattsehen können. Leider hätte deine Mutter eine Blasenentzündung bekommen, doch es ginge ihr inzwischen bereits wieder besser.

Viele Fotos ab den ersten Tag deines Lebens auf dieser Erde, hat dein Vater ins Internet gestellt, und es kamen täglich etliche dazu. Lustig sind die Fotos, wo dein Vater sich von drei Krankenschwestern das Babytragetuch umbinden ließ, worin du völlig verschwandest. Man sah von vorne gar nicht, dass dort einen kleiner Mensch drin saß, nichts guckte irgendwo heraus, bis auf ein winziges Stückchen Baby-Oberköpfchen. Mächtig stolz war er, dein Vater! Deine Mutter natürlich auch, obwohl sie sich doch ziemlich angeschlagen nach der Geburt fühlte.

Deine Eltern kauften ein kleines Bettchen auf Rädern, das genau an die Seite des Ehebettes passte. Darin schliefst du nachts, schön nah bei deinen Eltern. Im Grunde eine sehr schöne Möglichkeit, finde ich.

Wir erstanden damals, vor 36 Jahre, als dein Vater geboren wurde, eine Wiege, die im Wohnzimmer stand. Irgendwo gebraucht gekauft, inklusive Vorhänge. Die Wiege war riesig, passte deshalb nicht neben unser Bett im Schlafzimmer. Jedoch betrug der Abstand zwischen Schlafzimmer und Wohnzimmer nur einige Meter. Wir wohnten damals in einer kleinen Mietwohnung auf der vierten Etage. Mussten noch mit Holzkohle heizen, das kann sich heutzutage keiner mehr vorstellen. Für die gesamte Etagenwohnung besaßen wir einen einzigen Kohleofen. Die Kohle wurde aus dem Keller geholt. Einmal im Jahr wurde ein riesiger Berg Kohle geliefert, womit wir dann den ganzen Winter auskommen mussten. Da sind die Heizmöglichkeiten heutzutage gewaltig bequem geworden! Als dein Vater nicht mehr in die Wiege passte, kauften wir ein Kinderbettchen und stellten es ins Zimmerchen nebenan.

Am liebsten wäre ich jeden Tag die Strecke von 90 Kilometern zu euch gefahren, um dich zu bewundern, um deine Mutter zu helfen und euch zusammen zu sehen. Doch das ging natürlich nicht. Ich musste arbeiten, überdies musste deine kleine Familie sich erst mal zusammenfinden.

Dein Vater fotografierte so gerne, vor allem alle neue Situationen, beim Wickeln, Baden, im Kinderwagen und vieles mehr mit dir. Er stellte die Fotos ins Internet und ließ so die gesamte Familie daran teilnehmen.

08.02.2012

Das zweite Mal, als ich dich sah, warst du zwölf Tagen alt. Wir, Tom und ich, haben euch zu Hause besucht. Eine ganze Zeit lagst du in meinen Armen und schliefst. Manchmal hast du gelacht oder kleine Geräusche gemacht. So nah bei dir, betrachtete ich dein rötliches Haar und deinen Öhrchen, die nach der Ansicht deines Vaters absolut seinen gleichen. Sogar ein Muttermal sitzt an der gleichen Stelle wie bei ihm, hat er entdeckt. Dein Vater guckte sich, während der Zeit die wir bei euch blieben, zusammen mit deiner Mutter sein eigenes Baby-Album an.

Plötzlich rief er erstaunt: „Warum hast du ein Foto von Nele in mein Baby-Album geklebt?“