Chandeleur
Nach der eindrücklichen Autobiografie aus dem Sommer 2023, liegt nun mit „Chandeleur“, soeben im Leipziger I.C.H. Verlag erschienen, schon das zweite Buch von Beate Mendez vor. Ebenfalls Geschichten, die das Leben schrieb, hier akribisch in Tagebuchform festgehalten.
Beginnen soll alles mit einem Ereignis, das das Zeug hat, ein Leben zu verändern, ein Ereignis wie es so eindrücklich und ähnlich jeden im Leben das ein oder andere Mal widerfährt, das unerwartet und ungewollt kommt und in diesem Fall in eine kleine Odyssee durch Südfrankreich mündet. Denn in Südfrankreich lebt die Autorin Beate Mendez seit mehr als zwanzig Jahren. „Ich fand mich eines Nachts einfach auf dem kalten Fußboden meines Wohnzimmers wieder. Hier in der Provence sind kühle Fußböden durch Ziegelfliesen oder Keramikkacheln sinnvoll, weil sie der Wärme des Sommers trotzen. Wer solch einen soliden Fußboden hat, braucht keine Klimaanlage, der genießt das angebotene Raumklima in seiner ortsüblichen Weise. Kaum einer denkt beim Verlegen daran, dass sie die kürzeren Wintermonate ungemütlich machen. Aber als ich mich eines Nachts, Mitte Februar 2022, auf diesem gefliesten Boden wiederfand, war das mehr als unangenehm! Ich trug keine Uhr, die mir hätte sagen können, wie spät es war. Ich war ausgekühlt, musste schon länger ohne Bewusstsein im Dunkeln gelegen haben. Und ich konnte mich nicht aufrichten, meine rechte Hüfte schmerzte. So etwas war mir noch nie zugestoßen. Ich brauchte Hilfe. Gleichzeitig wurde mir klar, ich lag hier auf dem Boden unseres Wohnzimmers im Erdgeschoss unseres sonst so schönen Zuhauses. Raimondo, mein Ehemann, lag aber selig schlafend oben, in der ersten Etage, in seinem Bett. Das Schlafzimmer war am Ende des langen Flurs. Wenn ich rief, konnte man das dort nicht hören.“
Was folgt, ist eine angstvolle und kalte Nacht auf dem Boden und am Morgen dann endlich die Rettung und eine Fahrt mit dem Krankenwagen über holprige südfranzösische Landstraßen ins Unfallkrankenhaus im etwa 50 Kilometer entfernten Brignoles. Nicht die einzige Fahrt und nicht die einzige Ankunft im Krankenhaus, und schon gar nicht der einzige Aufenthalt in einem solchen – ein Oberschenkelhalsbruch ist eine langwierige Angelegenheit.
Und so lernt Mendez das französische Gesundheitssystem und seine Eigenarten etwas besser kennen und schreibt darüber. Natürlich schreibt die Autorin auch über ihre Odyssee und über Menschen, die sie im Hospital trifft und deren Schicksale ergreifen. Vor allem aber lässt sie die Leser wieder einmal an ihrer Liebe zu den Künsten und besonders zur Musik teilhaben. Hier nicht nur, indem sie darüber schreibt, die Musik beschreibt und was diese für Erinnerungen weckt und an Gefühlen in ihr auslöst. Nein, es werden hier an den richtigen Stellen auch Partituren gezeigt, die Text und Komposition abbilden und die Musik so mehr als greifbar werden lassen.
Darüber hinaus verbringt Mendez einen Großteil ihrer vielen Zeit, die sie meist liegend verbringen muss, mit dem Wälzen eines wahrlich dicken Buches (Der Untergang des Abendlandes) des Philosophen Oswald Spengler, das sie zwar trotz der vielen Zeit nicht ganz schafft, aus dem sie aber einige Passagen und ihre Interpretationen dazu darlegt, was sowohl einen wunderbaren Blick auf Spengler erlaubt, als auch auf die vielen Probleme unserer Zeit. Diese natürlich mit den Augen der Autorin gesehen, denn Spengler war ein Mensch sowohl des endenden 19. als auch des beginnenden 20. Jahrhunderts. Ob der – immerhin hat er den verheerenden Nationalsozialismus nicht bis zum Ende erlebt – in seinen Ansichten immer richtig lag und ob er das eine oder andere nicht heute auch anders sehen würde, muss da im Ungewissen bleiben. Aber dafür gibt es ja den Blick der Autorin Mendez, die auch darauf verweist, dass Spenglers Wahrheit in Wahrheit nur seine Weltsicht ist und er sich dessen auch bewusst war.
Und natürlich endet auch die längste Odyssee irgendwann, verblasst jedes noch so eindringliche Ereignis, fangen Wunden an zu gesunden. „Das viele Lesen auf Deutsch hat mir in diesen Wochen auch gutgetan. Aber auch meine Morgenliedaktion hat mir die kulturelle Zugehörigkeit bewusster gemacht. Auch das war eine Lebenshilfe. Vielleicht sollte ich auch zu Hause mehr darauf achten, mich mit solch Wohltuendem zu umgeben, dann fallen auch schnödere Alltagsdinge leichter. Gerade dieser Lebensabschnitt des Älterwerdens muss wohl gestaltet werden, um nicht durch Frust ausgehöhlt zu werden. Der Isolation halte ich schon mein fleißiges Chorsingen entgegen. Darauf freue ich mich jetzt wieder. Mozart singen wir da, und das mit vielen lieben Leuten, in deren Gesellschaft ich mich wohlfühle. Vorfreude!“
Beate Mendez lässt in ihre äußere und die inneren Welten blicken und nimmt den Leser und die Leserin auf eine sowohl philosophische als auch musikalische Reise mit, deren Lieder man beinahe zu hören glaubt.
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776 Wörter; 5008 Zeichen