Der Blechnapf
Mit meinem winterlich blassen Unterarm wische ich mir etwas ungelenk den karmesinroten Staub der sandigen Straße von meiner schweißbedeckten Stirn. Die bunt betuchten Akan-Männer am Straßenrand haben den Kampf gegen die Hitze längst aufgegeben, nicken mir gelangweilt zu und widmen sich dann wieder ihren zerbeulten Bierdosen, wobei sie lethargisch zwei Frauen beobachten, die auf dem Gehweg Soja frittieren.
Trotz eines gewissen Unbehagens führt mich mein leerer Magen nach dem zwölfstündigen Flug nach Abidjan alternativlos in eine schattige Blechhütte, über deren fehlender Tür Mama Lucie gepinselt wurde. Durch die Ritzen der fensterlosen Wellblechbehausung dringen unnachgiebig die brennenden Strahlen der Nachmittagssonne. Drei Jugendliche wenden sich bei meinem Eintreten gleichgültig zu mir, um sich kurzerhand wieder der Übertragung eines englischen Premier League Spiels auf dem Eckfernseher zu widmen, dessen Lautstärke sich mit den weichen Wassoulou-Klängen von Oumou Sangaré aus der Anlage duelliert.
Die beleibte Köchin steht neben der Türöffnung vor einem blubbernden Kupfertopf, wobei ihre Frage nach meinem Essenswunsch es tatsächlich vermag, sowohl den Fernseher als auch die Musik zu durchdringen.
„Ich nehme das, was die drei bestellen würden“, und weise auf die Goldketten tragenden Jugendlichen mit Caps und Fußballtrikots, von denen ich ein kurzes anerkennendes Nicken verbuchen darf.
Mama Lucie rührt wohlwollend in ihrem Topf und quittiert meine Wahl mit einem Lächeln und einem kurzen Schließen ihrer gutmütigen Augen. Ich setze mich an den klebrigen Holztisch und tue es meinen drei Nachbarn gleich und starre auf das flackernde Fernsehgerät, wo das Fußballspiel von Crystal Palace gegen FC Burnley gezeigt wird.
21. Spielminute. Null zu null. Um die weißgrelle LED-Glühbirne über unseren Köpfen surren Fliegen und allerlei Falter.
37. Spielminute. Mama Lucie bringt mir einen kreisrunden Blechnapf, auf dem Berge von Hühnchen, Okraschoten und Fufu geschichtet sind. Mit bloßen Händen beginnen meine Sitznachbarn ungefragt in meinem Blechnapf mundgerechte Fufukügelchen zu formen, dippen sie in die braune Erdnusssoße und stopfen sie sich in den Mund. Verunsichert schaue ich Richtung Mama Lucie, doch die ist aus der Hütte verschwunden und der Herd ist aus. Zaghaft wische ich meine staubigen Finger an meiner Hose ab und beginne ebenfalls eine maniokbreiige Fufukugel zu formen, reiße mutig ein Stück vom scharf gewürzten Hühnerschenkel ab und beginne demonstrativ zu kauen, was meine Tischrunde apathisch zu ignorieren scheint. Stattdessen steht mein Gegenüber auf, rülpst und wischt sich seine verschmierten Hände an seinem Wilfried Zaha-Nationaltrikot ab, trottet Richtung Kühlschrank und holt vier nassgrüne Beaufort-Bierflaschen und lässt sie auf die Mitte des Tisches krachen.
Mein Sitznachbar reißt geschickt an der im Deckel integrierten Metalllasche und reicht mir eine geöffnete Flasche des Lagerbieres rüber, ohne dass seine Augen vom Fernseher weichen. Er stößt mich in die Seite und prognostiziert: „Crystal wird nie etwas reißen, wenn sie solche Spiele nicht gewinnen!“
Ich kenne weder das Team von Crystal Palace noch Burnley und entgegne etwas, womit man an einem Stammtisch wohl immer durchkommt: „Zu Hause musst du die Punkte holen!“
Mein vermeintlich fachmännischer Kommentar erwirkt die gewünschte Zustimmung, in dem ich ein einhelliges Kopfnicken aus meinen Augenwinkeln erspähe, gefolgt von dem klirrenden Klang anstoßender Biere.
68. Spielminute. Ich schlurfe zum Hinterausgang, da ich dort das Klo vermute.
„Piss auf die Kohlen!“, schallt es hinter mir von der Tischecke.
Da ich nicht weiterschlurfe, sondern in meiner Bewegung verharre, ergänzt ein Anderer: „Im Garten, rechts an der Mauer. Piss auf die Kohlen!“
Ohne mich umzudrehen, hebe ich verständnisvoll die Hand, gehe in den Garten und pisse auf die Kohlen. Auf dem Rückweg öffne ich wie selbstverständlich den Kühlschrank, stelle ebenfalls vier Biere krachend auf den Tisch und mein Sitznachbar öffnet sie wiederum. Erneut klirren die Flaschen beim Anstoßen.
93. Spielminute. Das Spiel ist aus. Null zu null. Weder ein Sieg für Crystal noch ein Tor vom ivorischen Superstar Wilfried Zaha.
„Putain, c’était quoi cette merde!“, fasst der Vierte unserer Runde das Spiel so einfach wie vernichtend zusammen, steht auf, macht sich den Gürtel enger, steckt sich ne Kippe an und verabschiedet uns drei mit einem: „Na, dann bis morgen!“, indem er uns kollegial seine Faust entgegenstreckt. Reihum erwidern wir seinen Abschiedsgruß, wobei wir uns ansatzweise aus unseren Plastikstühlen hervorheben.
Auf meinem Nachhauseweg versinkt die dunkelrote Sonne sanft schimmernd hinter dem dichten Blätterdach eines Iroko-Baumes. Es ist mein erster Abend in Westafrika und doch fühle ich mich nicht fremd, sondern angekommen. Angekommen an einem Ort, wo mich die Menschen nicht mit ihrer Gastfreundschaft hofierten oder gar mit wohlwollenden Komplimenten bedachten. Nein, indem sie mich so behandelten, als säße ich seit jeher bei Mama Lucie, um mir bei Beaufort und Fufu ein Spiel von Wilfried Zaha anzuschauen.