Frau Glück: Pfodi hoch für Dosenöffner/Leseprobe

Erstes Miau

 

Nicht jeder hat die magische Gabe, in die Seele eines Lebewesens blicken zu können. Ich habe dieses Talent im Überfluss. Kein Wunder, denn schließlich bin ich eine Katze. Wer sonst weiß mehr über das Leben und die Welt, als wir, die wir liebevoll Samtpfoten genannt werden und so wunderbar schnurren können? Wir genießen das Leben und lieben es, von unseren Bediensteten umsorgt zu werden. Wir sehen alles und merken uns das auch. Dabei machen wir keinen Unterschied zwischen arm oder reich, groß oder klein, dick oder dünn. Nein, wir lieben das Leben, wir lieben die Welt und die Menschen, denen wir erlauben, uns zu bekümmern. Dafür belohnen wir sie mit einem Köpfchen oder einem tiefgründigen Blick aus unseren magnetisierenden Augen. Denn unsere Seelen sind sehr alt und weise. Schließlich haben uns schon Pharaonen verwöhnt. Daher wissen wir auch, dass wir gottähnlich sind: Wenn sich Pharaonen um uns bemühen, die sich für Götter hielten, wer sind wir dann? Richtig?

So, damit hat jetzt sicher jeder verstanden, welche Ehre es ist, dass ich mich hier äußere. Vielleicht habe ich gerade einige Hundemenschen verschreckt. Aber so bin ich nun mal: eine weibliche Katze, selbstbewusst und selbstständig. Ich lasse mir keine Befehle erteilen. Wenn ich hören will, dann mache ich eventuell das, was jemand anders von mir erwartet. Wenn nicht, dann müssen sich die Menschen halt gedulden. Ich bin der Meinung, dass es für sie eine Ehre ist, auf mich warten zu dürfen. Und wenn sie brav waren und ich Lust habe, dürfen sie mich streicheln oder mit mir spielen. Dann sind alle zufrieden und glücklich. So einfach kann die Welt sein. Jeder ist begeistert. Warum also alles so kompliziert machen? Gut, Menschen haben das Pech, dass sie eben als Menschen geboren wurden. Da haben wir Katzen es leichter, denn wir sind uns unserer Stellung durchaus bewusst. Doch auch die Menschen sind gar nicht so verkehrt. Sie haben diese besondere Fähigkeit, dass sie Dosen öffnen können. Nicht, dass mich im Detail interessieren würde, wie das funktioniert. Nicht jeder autofahrende Dosenöffner weiß, wie ein Verbrennungsmotor funktioniert, und fährt trotzdem Auto. Mir ist nur wichtig, dass es sich um schmackhaftes und abwechslungsreiches Futter handelt und es rechtzeitig serviert wird. Und am Rande bemerkt: Ich hasse Autofahren, denn da geht es meist zum Tierarzt. In solchen Momenten würde es mich mehr freuen, wenn der Motor nicht funktionieren würde. Auch hier sind Details für mich nicht wichtig, denn ich habe ja einen Dosenöffner-Chauffeur. Dieser kommt dann auch noch gleich an mein Futter ran. Das ist sehr praktisch.

Meine Dosenöffner besitzen mehrere Fernsehapparate. Abends schalten sie diese Flimmerkisten ein und wir machen es uns vor ihnen gemütlich. Dort läuft dann auch Werbung, über die sich meine Dosenöffner gern ärgern. In einer solchen wurde zum Beispiel einer Genossin Futter mit Garnierung serviert. Wie schrecklich. Nein, nicht die Garnierung als solches, sondern dass es sich um Petersilie handelte. Wenn, dann doch etwas mit Spaß, Spannung und zum Spielen, wie in einer anderen Werbung. Mir würde als Garnierung zum Beispiel eine Maus gefallen. Diese dann zu begutachten macht Spaß. Spannend ist es zu testen, ob sie noch lebt. Lebt sie noch, kann man prima mit ihr spielen. Also, bitte in Zukunft mitdenken.

So bin ich nun mal. Da gerade niemand da ist, der mich vorstellen kann, tue ich das vielleicht selbst einmal: Mein Name ist Nona und ich bin eine Norwegische Waldkatze. Das weiß ich von meinen Dosenöffnern. Die und ihre Freunde finden mich sehr hübsch und bezeichnen mich als Glückskatze, da mein Fell dreifarbig ist. Ich habe dichtes und langes Fell. Meine Dosenöffner sind da nicht so gut dran. Meinen weiblichen Dosenöffner – ja, das mit dem Gendern ist für uns Katzen nicht sonderlich relevant, da wir von uns überzeugt sind – nenne ich Schmusi. Sie ist rundlicher und weicher als Ratzi, mein männlicher Dosenöffner und persönlicher Chauffeur. Er ist Franke und nennt mich immer: „Nona, du bist mein kleiner Ratz.“ Was ich ja gar nicht verstehe und leiden kann. Aber wir leben hier in Oberfranken und da sind Ratzn, also Ratten, Kosenamen. Eigentlich mag ich fränkisches Personal ja, weil es nicht so aufdringlich und auch sehr tiefgründig ist. Aber mich, ausgerechnet mich mit einer Ratte zu vergleichen … Das verstehe wer will.

Meine Schmusi hat wenigstens viele und lange Haare am Kopf. Aber mein Ratzi ist ganz arm dran, denn selbst da fehlt ihm Fell. Wie muss der im Winter wohl frieren, der Ärmste. Meine Dosenöffner müssen deshalb jeden Tag Fell anlegen. Sie nennen das Kleidung. Abends ziehen sie sich dünneres Fell über und legen sich unter eine Bettdecke in mein Bett.

Ich wurde in einem fränkischen Schloss geboren und kam als kleines Kätzchen zu meinen Dosenöffnern. Sie hatten mir ein Haus eingerichtet, das mir sehr gefällt. Ganz wichtig ist, dass es am Rande eines Dorfes steht, sodass ich täglich mein Revier besichtigen kann.

Früh brauchen meine Dosenöffner immer ewig, bis sie fertig sind. Da muss ich dann ganz lange warten, bis mir das Frühstück serviert wird. Ich muss ihnen unbedingt noch beibringen, wie und wie oft man sich täglich putzt. Die gehen nur früh ins Badezimmer, duschen sich und ziehen ihr Tagesfell über. Das schlecken sie nicht einmal mehrmals täglich ab. Nein, das wird nur immer wieder mal in einer Maschine gewaschen. Nur manchmal, wenn ich Zeit habe und eh gerade beim Putzen bin, putze ich auch gleich meine Dosenöffner mit. Man will ja nicht so sein. Dann sehen sie, wie es richtig gehen müsste. Aber bisher haben sie es leider noch nicht verstanden. Obwohl sie nicht so dumm sind wie zum Beispiel Hunde, umreißen sie nicht alles. Besonders das Leben und die Welt verstehen sie nicht. Aber, wie soll ein Geschöpf die Welt verstehen, wenn es kein Fell hat und nicht weiß, wie man sich putzen muss?

Abends gehen sie noch einmal ins Bad und ziehen dann ihr Nachtfell über. Die armen Wesen. Danach lasse ich sie in meinem Bett schlafen. Ja, ich weiß, ich bin wirklich nett zu meinen Dosenöffnern. Als fränkische Norwegerkatze aus einem Schloss steht mir natürlich ein Pharaonensize-Bett zu. Kingsize wäre zu klein und Queensize geht schon gar nicht, denn schließlich will ich meine Dosenöffner nachts nicht alleine lassen und sie dürfen mit ins Bett. Wenn sie schon kein Fell haben, sollen sie sich wenigstens beim Schlafen wohl und beschützt fühlen. Ich gebe ihnen auch genug Platz. Meine Schmusi darf an einem Bettrand liegen, mein Ratzi am anderen. Da männliche Dosenöffner größer sind und mehr an sich selbst denken, brauchen sie auch mehr Platz. Ein Glück, dass ich so verständnisvoll bin. Ich könnte mich ja auch quer in mein Bett legen. Aber das tue ich nicht, denn meine Dosenöffner sollen sich wohl in meinem Bett fühlen. Ich lege mich der Länge nach in die Mitte. Da dürfen mich die beiden dann auch streicheln. Wenn ich das Gefühl habe, dass sie Nähe brauchen, lege ich mein Köpfchen auf ihren Arm oder lege mich auf ihre Beine, damit sie wissen, ich bin für sie da. Sie sind nicht alleine.

Ich bemühe mich also immer um meine zwei. Da ich ein Freigeist bin, lasse ich meinen fränkischen Dosenöffnern ebenfalls genügend Auslauf. Ich konnte ihnen auch schon einige Befehle beibringen. Sie hören nicht immer, aber da wir Katzen auch nicht gehorchen, habe ich in diesem Fall ausnahmsweise mal Verständnis und schaue großzügig darüber hinweg. Ich habe die beiden gut erzogen. Doch, doch. Sie arbeiten für mein Essen, räumen hinter mir her, sorgen für meine Unterhaltung und sind auch sonst ganz brav. Sie schreien nicht herum und machen schön Platz, wenn ich mich irgendwo hinlegen will. Doch ich bringe ihnen nicht nur bei, wie man zum Beispiel Türen öffnet, um die Katze rein und raus zu lassen, oder wann man ihr das Essen serviert. Ich unterhalte mich auch mit ihnen. Ich tröste sie und bin für sie da, wenn sie sich freuen. Ich höre ihnen zu und gebe ihnen Tipps fürs Leben, denn meine Seele ist alt und meine Genossen und ich haben viel erlebt. Seit Jahrtausenden begleiten wir Menschen und sind an ihrer Seite. Dosenöffner wissen wohl, dass sie sich eine Diva ins Haus holen, doch die wenigsten sind sich unserer Magie bewusst. Auch ist ihnen nicht klar, dass sie uns vermeintlich ins Haus holen, wir sie uns jedoch vorher auf magische Weise ausgesucht und gerufen haben.

Ich selbst habe mich für Schmusi und Ratzi entschieden, denn ich weiß, dass besonders meine Schmusi jemanden braucht, der Werte und eine Weltanschauung besitzt. Sie kann mir alles erzählen. Dafür nehme ich mir Zeit und lege mich in ihren Arm, damit sie meine Wärme und Energie spüren kann. So konnte ich viel aus ihrem Leben erfahren, auch wenn ich damals noch gar nicht auf der Welt war. Zudem hat mir meine Vorgängerin Tari viel erzählt, als ich ins Haus kam. Da ich achtsam bin, höre ich auch aufmerksam zu, wenn die Dosenöffner sich unterhalten oder anderen etwas erzählen. Deshalb kenne ich meine Schmusi und meinen Ratzi wohl besser als sie sich selbst kennen, denn ich habe ja die Fähigkeit, in ihre Seele zu blicken. Menschen sind oft mit oberflächlichen Dingen beschäftigt, die um sie herum geschehen und vergessen ihre Seelen sehr gern. Ihr Körper ist ihnen wichtig, den pflegen sie noch. Natürlich nicht so gut, wie wir Katzen das mit unserem tun. Ihren Geist trainieren die einen oder anderen Menschen auch noch ganz gut. Mir ist aufgefallen, dass sich alle Menschen für intelligent halten. Deshalb wundert es mich schon, was manche dann an Dummheiten äußern. Doch auch mit denen versuche ich respektvoll umzugehen.

Was die meisten Menschen aber vergessen, ist die Pflege ihrer Seele und deren Gesundheit. Ich erschrecke manchmal, was Dosenöffner dort an Müll sammeln, der sie eigentlich belastet und sie merken es nicht einmal.

Ich möchte, dass es meinem Personal gut geht, und kümmere mich deshalb auf allen Ebenen um sie. Denn sind die Bediensteten zufrieden, können sie sich gut um die Diva kümmern. Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch: Ich bin wohl eine Katze und damit auch eine Diva, doch wie bei jedem weiblichen Wesen dieser Welt, ist das nur eine Facette. Auch ich kann ein Kind sein, das Liebe braucht und in den Arm genommen werden muss. Manche Situationen oder Lebewesen machen mir Angst, sodass ich flüchte. Wie andere weibliche Wesen suche ich nach einem Partner, der mich auffängt, wenn es mir nicht gut geht, oder der mich tröstet und warm hält.

Für mich ist diese Vielfältigkeit eines weiblichen Charakters ganz normal und ich lebe diesen auch aus. Deshalb werde ich als Diva bezeichnet. Eine solche bin ich auch, das gebe ich zu, aber ich bin mehr. Auch bin ich intelligent und habe eben magische Fähigkeiten. Kein Lebewesen dieser Welt sollte sich nur auf eine solche Rolle festlegen lassen. Das schränkt ein und man kann sich selbst nicht ausleben. Zum Glück besitze ich als Katze den Mut, mich selbst zu leben und damit zufrieden zu sein. Dabei respektiere ich das auch bei anderen, denn ich bin mir meiner selbst bewusst und kann mich ein wenig zurücknehmen, wenn der andere mehr Platz für seine Entfaltung benötigt. Man sollte nur darauf achten, dass man niemanden dabei verletzt. Denn solche Verletzungen fallen auf einen selbst zurück und wirken sich irgendwann einmal negativ auf einen selbst aus. Deshalb gehe ich selbstbewusst, aber respektvoll mit meinen Dosenöffnern um.

Ich liebe meine Mitbewohner und ihre Freunde. Am meisten liebe ich meine Dosenöffner. Sie sind meine geliebten Menschen und gleichzeitig auch mein geliebtes Personal, dem es gut gehen soll. Deshalb bin ich aus dem Schloss hierhergekommen. Außerdem bin ich auch ein wenig neugierig und liebe die Geschichten der Menschen. Besonders interessiert mich natürlich das Leben meiner Dosenöffner. Deshalb höre ich trotz meiner vielfältigen anderen Aufgaben und Verpflichtungen immer gut zu, wenn etwas in ihrem Leben geschieht oder sie mir oder ihren Freunden etwas erzählen.

Zweites Miau

Ja, ich bin auf einem oberfränkischen Schloss geboren. Der dortige Kastellan und seine Frau sind die Dosenöffner meiner Vorfahren. Leider durften meine Geschwister und ich uns nur in der Wohnung des Kastellans aufhalten und haben damals von der Welt wenig gesehen. Ich habe eine Schwester und drei Brüder. Mein Papa ist riesig und meine Mama eine Schönheit. Wir durften den ganzen Tag spielen. Wir versteckten und suchten uns. Das Jagen wilder und gefährlicher Schlangen-Schnüre machte besonders viel Spaß. An den Möbeln durften wir unsere Krallen testen und auf diese dann hochspringen und wilde Tollereien unternehmen. Selbst die Vorhänge waren nicht sicher vor uns. Das mit den Krallen an Möbeln und Vorhängen ist übrigens nicht mehr erlaubt. Aber wie schon mal gesagt: Ich bin eine Katze mit einem eigenen Kopf. Wenn die Dosenöffner mal nicht schauen, probiere ich das trotzdem. Jetzt habe ich allerdings Kratzbäume und kann auch draußen meine Krallen testen. Das war aber damals nicht der Fall. Trotzdem hatten wir Katzenkinder viel Spaß und konnten uns in der Wohnung des Kastellans im Schloss richtig schön austoben.

Anders war das bei meiner Schmusi. Das hat sie mir mal erzählt. Die Mutter meiner Schmusi wurde Mami genannt und wollte eigentlich gar keine Kinder, sondern lieber ihr Leben genießen, Geld verdienen und verreisen. Ihr Vater, Papi, dagegen wollte eine Familie, aber trotzdem seine Freiheiten weiterbehalten. Er war Handwerker und Vorsitzender des örtlichen Sportvereins. Bei diesen Aufgaben konnte er sich voll und ganz ausleben. Wie das halt in den Sechzigerjahren so üblich war. Die Oma meiner Schmusi war die Inhaberin des örtlichen Ladens, die Eltern ihres Papas dagegen waren Landwirte. Von der weiblichen Seite stammt meine Schmusi von einem Landadel ab. Kein Wunder, dass ich ausgerechnet bei ihr gelandet bin. Die Mutter und die Oma meiner Schmusi waren sich ihrer Abstammung durchaus bewusst. Sie liebten zum Beispiel die Oper, das Ausland – damit meine ich weiter weg als Franken – und feines Essen. Ich versuche, manche Begriffe zu erklären, weil ich nicht weiß, ob die jeder kennt. Als Katze weiß ich natürlich, dass Ausland weit weg ist. Auch wenn ich dort noch gar nicht gewesen bin. Aber meine Vorfahren lebten dort. Und ich weiß, dass es auch in der Ferne viele Katzen gibt, mit deren Seele ich mich verbinden kann.

Doch weiter in der Geschichte: Papi war da ganz anders. Aber Mami und Papi verliebten sich, heirateten und planten, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Ganz ohne Kinder oder Katze. Wobei ich letzteres so gar nicht verstehen kann.

Die Vorfahren meiner Schmusi stammten aus einem kleinen oberfränkischen Dorf. Ganz früher hatte ihnen einmal der ganze Ort gehört. Als Schmusis Eltern jung waren, besaß die Familie nur noch den vorderen Teil des früheren Schlossparkes, auf dem ein Wohnhaus mit Laden und gegenüber eine Scheune mit Garage erbaut worden waren. Schmusis Ur-Ur-Großvater hatte Schloss und Grund und Boden beim Kartenspiel verzockt. Im Schloss selbst war nun eine Gaststätte untergebracht. Mami, die Mutter meiner Schmusi, hatte sich vorgenommen, etwas im Leben zu erreichen. Sie wollte viel Geld haben, die Welt sehen und sich keine Verantwortung oder Verpflichtungen auferlegen. Ihr Leben sollte leicht sein. Damals war es ein Problem, an Verhütungsmittel zu kommen. Außerdem handelte es sich um ein streng katholisches Dorf. Da waren Verhütungsmittel gar nicht erlaubt. Das verboten alte Männer, die mehr oder weniger alleine lebten und glaubten, allwissend zu sein. Sie halten übrigens Gott für einen alten bärtigen Mann. Zum Glück wissen wir Katzen, dass es die große Katze des Lichts gibt, die den alten bärtigen Mann sicher schon längstens gekratzt und geschimpft hätte, warum er den Männern dieser Institution so viel falsche Macht an die Hand gibt.

Mami also hatte sich vorsichtshalber noch einen Plan B überlegt: Sollte sie wider Erwarten doch schwanger werden, sollte sich ihre Mutter, Omi, um das Kind kümmern, damit sie selbst weiter arbeiten und das Leben genießen könnte. Im Übrigen: Wenn ein Kind, dann wünschte sie sich einen Sohn, falls sie versehentlich doch schwanger werden sollte.

Doch wie das Leben den Menschen nun mal so spielt. Mami und Omi fühlten sich eines Tages nicht wohl. Mami ging es sogar besonders schlecht, denn ihr war ständig übel und sie musste sich dauernd übergeben. Da die beiden Frauen in einem fränkischen Dorf wohnten, fuhren sie zum Arzt in die Stadt. Dort erfuhr Mami, dass sie schwanger ist, Omi, dass sie bald an Leberkrebs sterben wird. Das muss wohl sehr schlimm für Mami gewesen sein, denn sie liebte ihre Mutter über alles. Aber sie sah auch ihren eigenen Lebenstraum zerstört. Nach den Entbehrungen als Kind während des Zweiten Weltkrieges hatte sie sich ein sorgenfreies und schönes Leben gewünscht. Ja, das ist leider so.

Für mich als Katze ist das unvorstellbar, aber Dosenöffner bekriegen sich gegenseitig. Und das sogar mit Waffen. Die machen alles kaputt und töten Menschen. Ich weiß, uns Katzen wird auch immer wieder mal vorgeworfen, dass wir brutal sein sollen, weil wir Beute jagen. Wenn wir satt sind, spielen wir dann mit dem gefangenen Tier. Das liegt uns domestizierten Wildkatzen einfach im Blut. Das hat uns die große Katze des Lichts mitgegeben. Wir lassen uns einfach nicht zähmen. Das ist auch bei den weiblichen Dosenöffnern so. In jeder Frau steckt tief drin noch eine Wildkatze. Deshalb liebe ich meine Schmusi so. Denn manchmal lässt sie die raus. Mein Ratzi und ich fürchten uns in diesem Augenblick wohl, aber das geht schnell vorbei. Wir lieben das beide an ihr, verraten ihr das aber nicht. Nur manchmal zwinkert mir mein Ratzi zu und flüstert mir ins Ohr: „Sonst wäre es ja langweilig. Ich liebe deine und ihre wilde und vielfältige Art.“

Aber mal ehrlich, das ist doch noch lange nichts im Vergleich zu den Menschen, die ihre eigene Rasse gleich so schlimm bekriegen. Die jagen sich nicht gegenseitig auf dem Feld oder Acker wie Katzen ihre eine Beute, sondern setzen Maschinen ein, damit so viele Menschen wie möglich getötet werden. Ich als Katze sage, dass das viel schlimmer ist. Wobei meine Schmusi das vielleicht anders sieht. Denn anstatt sich zu freuen, wenn ich ihr erlegte Beute ins Haus mitbringe, jammert sie immer, wenn die Beute noch lebt. Dabei sollte sie sich freuen, denn schließlich kann sie dann selbst noch ein wenig jagen oder spielen. Ich kümmere mich doch wirklich sehr gut um meine Dosenöffner, richtig?

Leider gab es damals keine Katze im Leben von Mami und Omi, die sich hätte kümmern oder trösten können. Die beiden waren einfach nur verzweifelt. Omi magerte ab, siechte dahin und litt ganz furchtbar unter den schrecklichen Schmerzen. Ihre Schwester kam aus der riesigen oberbayerischen Stadt, um sie zu pflegen, war aber eifersüchtig auf Mami. Als Omi ins Krankenhaus kam, behauptete die Schwester, dass Mami sich vor ihr graue. Das erschütterte Omi und sie verbot ihrer einzigen Tochter, sie im Krankenhaus besuchen zu kommen. Das war für diese besonders schlimm und sie wurde erst stiller, dann schrie sie ihren Schmerz hinaus in die Welt. Vom Arzt bekam die schwangere Mami dann Valium verschrieben. Schließlich konnte sie ihre sterbende Mutter doch noch besuchen, sich aber nicht richtig von ihr verabschieden. Schmusis Oma starb zwei Monate vor ihrer Geburt. Mami verzweifelte und versuchte alles, damit sie das Kind in ihrem Bauch verlor. Denn das wollte sie einfach nicht mehr in sich tragen. Schließlich hatte sie das Gefühl, dass alles in ihr gestorben war. Sie vergaß, dass da noch ein kleines Lebewesen heranwuchs, das eigentlich ihre Liebe brauchte – auch schon in ihrem Bauch. Wir Katzen wissen das. Wenn wir schwanger sind, schnurren wir für unsere Kleinen, die wir in uns tragen. Denn sie sind ein Teil von uns, unsere Zukunft, die uns unsterblich macht.

Damals waren die weiblichen Dosenöffner noch nicht so aufgeklärt und am Land wurden hinter vorgehaltener Hand abstruse Tipps zur Abtreibung von einer Frau zur anderen weitergegeben. Abtreibung als solches durfte es in einem fränkischen und katholischen Dorf natürlich nicht geben. Also musste ein Schwangerschaftsabbruch ´überraschend´ oder ´versehentlich´ geschehen. Frauen verletzten sich mit Nadeln, ließen sich erschrecken oder überanstrengten sich. Das würde eine Katze übrigens nie tun. Wir verletzen uns nicht selbst. Wir brauchen auch keine Institution, die uns irgendwelche Werte auferlegt. Wir wissen, dass es die große Katze des Lichts gibt. Jedes Leben trägt einen göttlichen Funken in sich, weshalb alle Lebewesen auch gleich sind. Niemand ist besser als der andere. Die große Katze des Lichts hat alle Lebewesen gleich geschaffen. Wenn also jemand behauptet, dass ein Tier oder ein Dosenöffner nicht ganz richtig ist, dann würde er ja behaupten, dass der großen Katze ein Fehler unterlaufen wäre. Und das kann ja nun wirklich nicht sein. Also, Vorsicht an alle, die Kritik an den Erschaffungskünsten der großen Katze des Lichts üben, es könnte sein, dass die das krumm nimmt und ihre Krallen ausfährt. Und jeder, der schon mal von einer kleinen Katze gekratzt wurde, kann sich vorstellen, wie das bei einer großen Katze aussehen kann.

Für alle, die mich und die große Katze des Lichts noch nicht verstanden haben: Jedes Lebewesen auf dieser Welt ist perfekt und keines steht über dem anderen. Diese Werte tragen wir in uns, die muss uns keiner vorschreiben oder erklären. Da wir diese Werte verinnerlicht haben, haben wir auch vor anderen Geschöpfen dieser Erde Respekt. Ganz natürlich, ohne Zwang und ohne Vorschriften durch Institutionen.