Frank Freyer: Zwischen den Zeilen/Leseprobe

Kapitel 1

Anstelle eines Vorworts – muss es denn noch ein zweites Buch werden?

Mit allen möglichen Szenarien hatte ich gerechnet, als ich zu Beginn des Jahres 2020 mein erstes Buch diversen Verlagen zur Veröffentlichung angeboten hatte. Die, gemeint sind die Lektoren, kommen vor Lachen nicht in den Schlaf. Oder, da werde ich wohl in einen Copyshop gehen und so etwa zwanzig Exemplare im Buchformat anfertigen lassen. Natürlich auf eigene Kosten, Vorkasse sozusagen.

Doch, es sollte ganz anders kommen. Kannst es wenigstens versuchen, so mein zweiter Gedanke. Und so hatte ich das Manuskript mehreren ´richtigen´ Verlagen zum Druck angeboten. Ein kleines, aber feines Anschreiben dazu getextet, das Manuskript als Anhang dazu, und ab ging die elektronische Post per E-Mail zu ihren Empfängern. Danach, schier endlos erscheinendes, zumindest in meinem Empfinden, Warten. Treffender formuliert, abwarten. Passiv abwarten, eine Gabe, die bei mir nicht gerade bis zur Perfektion ausgeprägt ist. Musste sie aber auch gar nicht. Denn bereits wenige Tage später bekundeten die ersten Verlage ihr Interesse an meinen niedergeschriebenen Zeilen. Ja, liebe Leserinnen und Leser, es ist kein Fehler, die ersten Verlage, steht geschrieben. Mehrzahl, einstellige Mehrzahl, mein Herz hüpfte vor Freude in meiner Brust auf und ab. Ich konnte es nur schwer begreifen. Junger Autor mit 61 Lebensjahren auf dem Buckel, klingt doch verdammt widersprüchlich, oder?

Sei es drum, ich habe mich gefreut wie ein Teenager nach dem ersten Kuss, als ich den unterschriebenen Autorenvertrag in meinem Briefkasten fand. Das erste eigene Buch in den Händen halten. Einfach himmlisch diese Vorstellung. Sie fühlt sich echt spitze an, diese Perspektive.
Doch nun gilt es, den weitaus schwierigeren Teil der Arbeit in Angriff zu nehmen. Ein neues Buch soll entstehen. Sozusagen die Fortsetzung des ersten Teils meiner Autobiografie. Wird auch dieses Werk seine Leserinnen/Leser finden und ansprechen? Kann es an den Erfolg des ersten Teils anknüpfen, diesen vielleicht sogar toppen? Gibt es genügend inhaltliche Anknüpfungspunkte in meinem Leben, die es wert sind, hier näher betrachtet und inhaltlich ausgeleuchtet zu werden? Soll doch die Nummer Zwei kein billiger Aufguss des Vorgängers werden! Fragen über Fragen. Und das Ganze gepaart mit dem unbedingten Willen, den Leserinnen und Lesern noch tiefgründiger an meinem Leben, meiner Entwicklung, meinem Werdegang teilhaben zu lassen. Dabei soll natürlich auch wieder die inhaltliche und vor allem weltanschaulich begründete Widersprüchlichkeit meines Lebens unter den Bedingungen des ´real existierten´ Sozialismus in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik aufgezeigt werden. Wie habe ich das Erlebte damals empfunden und bewertet? Wo stehe ich heute?

Na, hoffentlich steht er nicht meilenweit neben seinen eigenen Schuhen, höre ich schon einen Teil der Leserschaft unken.

Gemeint ist natürlich, welche meiner damaligen Überzeugungen haben auch heute noch Bestand. Oder, welche Standpunkte und Ansichten habe ich im Laufe der dreißigjährigen Nachwendeentwicklung über Bord geworfen, über Bord werfen müssen.

Von Anfang an muss ich aber auf folgenden Sachverhalt hinweisen. Das selbst Erlebte, aus heutiger Sicht, mit mehrjährigem Abstand und der Lebenserfahrung eines Sechzigjährigen kritisch betrachten? Auf jeden Fall! Auf Unzulänglichkeiten in der kleinen Republik östlich der Elbe hinweisen? Ja, das ist von mir gewollt! Dabei vor allem auch den Finger auf Überhöhungen im Bereich der politisch-ideologischen Erziehung gerade des jungen Staatsvolks legen? Kein Thema, da hat meine werte Leserschaft gleich etwas zum Schmunzeln oder Schütteln des Kopfes. Nach dem Motto, das glaube ich jetzt aber nicht! War das wirklich so?

Aber, ich will mich auf gar keinen Fall über das untergegangene politische System in der damaligen DDR lustig machen, oder es in irgendeiner Form durch den Schmutz ziehen. Eine solche Herangehensweise ist mir fremd. Der eventuelle Vorwurf, von einem unkundigen und vielleicht auch noch einseitig ausgerichteten Personenkreis, mich aus diesem Grunde als Altstalinisten betiteln zu wollen, entbehrt dennoch jeder Grundlage. Weiß ich doch sehr wohl, dass es in diesem Land Dinge, Prozesse und Entwicklungen gab, die nicht mit einer freien Entwicklung des Menschen und der Wahrung seiner persönlichen Würde vereinbar waren. Sind es doch gerade diese Themen, die alljährlich im Oktober/November aus Anlass des sogenannten Mauerfalls, beziehungsweise der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten besonders strapaziert werden. Sehr einseitig sogar. So zumindest meine Empfindungen. Für mich reduzierte sich das Leben in der sachsen-anhaltinischen Provinz keineswegs nur auf Menschen, die dem Land den Rücken kehren wollten, ´Mauertote´ und die Stasi. So schlimm und entsetzlich das für die Betroffenen und auch deren Familien gewesen sein muss und sicherlich heute auch noch ist. Dennoch, ich glaube, es gab da mehr in dem kleinen Land. War es doch die Zeit einer unbeschwerten Kindheit, des allmählichen erwachsen Werdens, der ersten Liebe und der frühen Erfahrungen, die sich für immer in das Gedächtnis eingebrannt haben.

Doch, den weitaus größeren Teil meines bewussten Agierens in diesem Leben bin ich Bürger der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Jahr, 2020, werden wir am 3. Oktober, dem Geburtstag meines Sohnes, zum dreißigsten Male den Tag der Deutschen Einheit begehen. Eine sehr lange Zeit, in einem doch recht bemessenen Leben eines Erdenbürgers. Nur folgerichtig, dass auch diese Jahre mich geprägt haben und das selbst Erlebte und Erfahrene zu differenzierten Bewertungen meinerseits führte. Verschärft und beschleunigt wird dieser Prozess der widersprüchlichen Bewertung der jüngsten Vergangenheit vor allem durch eine unheilvolle Entwicklung in unserem bundesdeutschen Alltag. Ich meine die rasant voranschreitende Spaltung der Gesellschaft gerade in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts. Drei viel zu tiefe Gräben durchziehen das Land und teilen es. Orientiert man sich nach der Himmelsrichtung, so scheint es, als würde der Gegensatz zwischen Ost und West wieder stärker zutage treten. Legen wir die politische Denkrichtung – ich bezeichne es einmal einfach so – als Maßstab an, trennt der Graben linkes von rechtem Gedankengut. Was auch immer der Mainstream darunter versteht, und es inhaltlich auszufüllen versucht! Und, nicht zuletzt, die zunehmende Polarisierung in Arme und Reiche.

An dieser Stelle des Buches, dem nicht so bezeichneten Vorwort, möchte ich mich aber nicht, noch nicht, mit diesen Dingen auseinandersetzen. Dennoch reicht schon die Nennung der Fakten, um klarzustellen, dass noch genügend geistiger Zündstoff für ein zweites Buch von mir vorhanden ist.

Aber keine Sorge liebe Leserinnen und Leser. Ich werde mich auch nicht in pseudophilosophischen Betrachtungen von Problemen der Gegenwart verstricken. Gab es doch in meinen beiden Leben lustige, fast anekdotengleiche Begebenheiten, die zumindest zum Lächeln animieren sollen. Und das sowohl in meinem ersten Leben, bis zur sogenannten Wende 1989/90, als auch in meinem zweiten Leben als Bürger des geeinten Landes.

Natürlich werden bestimmte Etappen in meinem Leben, die eine oder andere Situation, einzelne Höhepunkte und zwischenmenschliche Beziehungen des ersten Buches ein weiteres Mal Erwähnung finden. Das ist auch völlig logisch und nachvollziehbar. Habe ich doch in meinem Erstlingswerk bewusst auf eine allzu umfangreiche Ausstaffierung der wenige Zeilen zuvor genannten Sachverhalte verzichtet. Zugleich beschränkte sich beim Niederschreiben des real Geschehenen meine Sichtweise auf nur ein oder zwei unterschiedliche Blickwinkel. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass so manches Schlüsselerlebnis in meinen über sechzig Lebensjahren es wert ist, oder aber so prägnant war, dass es tiefgründiger gewichtet werden sollte. Und auch eine Änderung und Erweiterung des Horizonts, sprich der Sichtweise, finde ich ratsam. So birgt doch so manches ´zwischendurch´ Erlebte mit dem Abstand von heute betrachtet, auch lustige und komische Elemente. Mit der Weisheit des Alters betrachtet, animieren diese zwischen den Zeilen herausgearbeiteten Dinge sogar zum Lachen oder bringen uns zumindest zum Schmunzeln. Auch kann ich nicht davon ausgehen, dass alle, die jetzt im wahrsten Sinne des Wortes versuchen zwischen den Zeilen zu lesen, auch schon den Vorgänger dieses Buchs in ihren Händen hielten. Doch auch sie haben das Recht, sich zügig und chronologisch geordnet in den Verlauf meines Lebens hineinzudenken.

Auf gar keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, dass das Buch von Wiederholungen lebt und das Alte nur aufgewärmt geistig neu dargeboten wird. Auch im zweiundsechzigsten Lebensjahr will ich einfach nicht als Langweiler ins Rennen gehen.