Lejla Usabaev: Sphäre der Götter und Heiligen/Leseprobe

Als ich mit Mitte zwanzig meinen Verstand verlor, war ich gesund. Könnte man sagen – also, das sagen zumindest die Ärzte. Ich wurde mit Mitte zwanzig in die Psychiatrie eingewiesen – Diagnose: Dopaminvergiftung. Eigentlich wollte ich bloß die Zeichen deuten, die mir die Tübinger Innenstadt bot. Zeichen über Zeichen türmten sich dort in den verbogenen Sträßchen dieser heimtückischen Stadt voller Fachwerkhäuser und Backsteingebilde. Heute, sagen wir vier Jahre später, schmücke ich meinen geistigen ´Amoklauf´ durch die Stadt etwas aus, denn obwohl ich sehr paranoid versuchte, die Monster ausfindig zu machen, die mir diese neue Welt zeigten, fand und finde ich doch Gefallen an dem fantastischen Drumherum. Damals sah ich, wie mir diese, mir damals noch verborgene Welt, in der wir leben, aufgezeigt wurde. Wer genau es war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, doch ich tippe, und das ist auch, was alle Beteiligten selber aussagten, auf die Macher. Sie waren es, die mir den Schlüssel gaben, vermutlich.

Normalerweise sind sie Macher, und das ist auch was sie tun. Sie machen, und zwar Leute!

An dieser Stelle könnte man viel erzählen über die Macher. Von ihnen gibt es fünfhundert und noch mehr in der Welt der Menschen, ich traf sogar einige von ihnen persönlich. Fünfhundert waren es, die bei mir waren und über Monate zu meinen stetigen Begleitern wurden. An dieser Stelle gedenke ich dem Leser eine Minute einzuräumen, um das Gelesene zu verarbeiten: Also Macher, die Menschen machen, sind auf die Erde gekommen oder waren schon dort und haben sich in deinen Kopf gehackt, um dir Sachen zu zeigen und dich mithilfe einer Zeremonie in ihre Welt einzuweihen? So ähnlich.

Ich will zu Beginn meiner Geschichte präzisieren, wie ich gelebt habe, denn ich habe gelernt, dass Leute oft nicht ganz verstehen, was ich meine. Ich will sagen, ich bin ein Mensch von der Erde zu denen andere Menschen anderer Form gekommen sind.

Sie sind durchaus fleischlich, würden sie sagen, aber auch durchsichtig, falls man je den Blick auf sie richten würde. Sie sind eigentlich keine Wesen, die außerhalb eines Körpers anzutreffen sind, zumindest können sie sich nicht so richtig fühlen. Wie sollte auch ein geistähnliches Wesen, das aber gar kein Geist ist, sondern ein Mensch, der hier oder dort, also auf der Erde oder im All, einst gelebt hat, sich begreiflich machen. So viel dazu. Irgendwie sind die Macher auch Männer, aber es gibt auch weibliche unter ihnen, die ganz genau so eigensinnig sind, wie der größte Rest von ihnen. Sie sind ziemlich komisch, um wahr zu sein. Auf der Erde wären sie wohl echte Meistersteinmetze und Maskenbildner gewesen, sie zeichnen seit jeher Dinge und imaginieren diese bis zur Präzision. So lange haben sie sich dieser Sache verschrieben, bis es ihnen allen eines Tages zu viel wurde und sie das Zeichnen für immer bleiben ließen. Sie rutschen ab, könnte man sagen. Wenn sie beispielsweise einen Fahrradfahrer abbilden, kann der Fahrradfahrer nicht auf seinem Fahrrad bleiben, sondern muss hinfallen, aufstehen und einen Flickflack mit Rolle rückwärts machen. Die Macher lachen dann herzhaft, ganz ihrer Natur nach, und feiern gemeinsam die grandiose Show.

Die Macher waren nicht allein unterwegs auf ihrer Erkundungstour auf der Erde. Auch einige Heilige, die uns bekannt sind, waren bei ihnen: Jesus, Petrus, Mohammad, der Messias, der Schöpfer, das Universum und Gott auf Erden, ein tausendjähriges von Gott gemachtes Wesen, stießen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte dazu.

An dieser Stelle muss man ganz laut Halt! rufen und sich fragen, wie das überhaupt sein kann: Wie? Jesus, Petrus, Mohammad und irgendein Messias waren bei dir und haben mit dir und den Machern gemeinsame Sache gemacht? Es gibt jemanden, der sich der Schöpfer nennt und ein leibhaftiges Universum, das womöglich spricht? Und wer ist Gott auf Erden?

Ich spule in dieser Geschichte gerne zurück und erkläre, dass das schon eigensinnig klingen mag, aber genau so ist es gewesen. Sie sind einfach bei mir erwacht. Einige so schön, wie die zu Stein gewordenen Pharaonen aus alten Geschichten. Diese Leute sind die, die einst gelebt haben. Ich weiß das, weil sie es selbst aussagen. Sie sind die, die die Menschen einst als Anführer, Prophet und Messias verehrten. Petrus soll Gottes früheres Ich als Mensch auf der Erde gewesen sein, vor  ideenhistorischen 380.000 Jahren. Sie nennen diese Zahl statt den Anbeginn der Zeit, was ich in verschiedener Hinsicht bemerkenswert finde. Die Heiligen erzählen sich solche Geschichten und Gott selbst sagte aus, er sei einst Petrus gewesen. Diese Zahl scheint aus verschiedenen Perspektiven interessant zu sein: Ich war einmal im Naturkundemuseum in Berlin und habe dort im Kosmosraum eine Zeitskala studiert, die das 380.000ste Jahr nach dem Urknall als entscheidenden Moment im Universum markiert hat. Dahinter steckt die Erinnerung an die ersten Aufnahmen des jüngsten Universums aus der statu nascendi: 4 Prozent Atome, 23 Prozent einer unbekannten dunklen Masse und 73 Prozent mysteriöse Energie, bevor sich Galaxien und Planeten gebildet haben. Genauer, das älteste Licht, das uns erreicht, stammt aus der Zeit, etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall.

Ich denke, diese Zahlen haben einen gemeinsamen Ursprung. Petrus soll von Gott vor eintausend Jahren gemacht worden sein. Der Schöpfer soll der sein, der bei Mohammad sprach und, wann immer das passierte, seinen kleinen Finger hob. Mohammad war der wichtigste und einzige Prophet in den letzten circa eintausendfünfhundert Jahren und soll von den Geistern auch zu Lebzeiten hoch gepriesen worden sein. Er soll durch Gabriel Botschaften erhalten haben, das ist soweit bekannt. Überdies soll er, das erzählen sich die Heiligen, von Gott nach seinem Tod zu sich geholt worden sein. Gott sagte einfach „Hier“ und da war er. So sagen es die Heiligen. Sie sind sehr eigensinnige Wesen, die sich in ihren Vorstellungen über die Jahrtausende verlieren können, aber auch ein unermessliches Gedächtnis und einen persönlichen Reichtum besitzen. Sie schätzen ihre Vergangenheit als messianische Führer und wissen, wie wertvoll sie sind. Ihre Geschenke haben einen unschätzbaren Wert – nicht nur persönlich, auch materiell.

Ich habe miterlebt, wie sie einfaches Wasser in heiliges Wasser verwandelt haben, das plötzlich glasig und dicker erschien, habe mich mit ihnen über Monate auseinandergesetzt und ihre Welt studiert. Als Mohammad bei mir erwachte, an einem frühen Morgen im Jahr 2018, war alles still, nur unsere Bewegungen waren im Raum zu vernehmen. Wir schoben die Decke beiseite und richteten uns schleppend auf. Mohammad stützte seinen Kopf auf seine offene Handfläche und seufzte in sich hinein wie aus einem tiefen Traum gerissen. Er war einem alten Pharao gleich, der lange gelegen hatte.

Um nicht zu weit in der Geschichte vorauszugreifen, möchte ich berichten, wie die Macher mich in einer speziellen Zeremonie in ihre Welt einweihten. Es war die erste spirituelle Erfahrung, die ich erlebte, und ich habe sie noch gut in Erinnerung. Es war an diesem speziellen Tag im Jahr 2016, als ich bereit war, als sie zu mir kamen. Die Welt, in die ich eintauchte, musste nämlich, sagen wir, freigeschaltet werden. Sie war noch verschlüsselt – in meinem Gehirn.